9 Uhr. Die Sonne lacht vom Himmel und eine sanfte, spätsommerlich anmutende Brise weht bunte Blätter von den Bäumen. Wir haben soeben den Bahnhof von Retz im nördlichen Weinviertel erreicht. Die tannengrüne, nostalgische Zuggarnitur des legendären Reblaus-Expresses, der zwischen Mai und November auf insgesamt 40km vom Weinviertel bis ins Waldviertel pendelt, scheint wie aus dem Ei gepellt. Bereits vor dem Bahnhof werden wir von dem Schaffner freudig in Empfang genommen. Die Kinder sind vollauf begeistert und können es kaum erwarten, den urigen Waggon zu erklimmen. 2010 wurde der Reblaus-Express, dessen Strecke sich bereits vor 100 Jahren großer Beliebtheit erfreute, vom Verein Reblaus-Express revitalisiert. Es ist spürbar, dass Regionalität in Verbindung mit Kulinarik, Genuss und Naturverbundenheit großgeschrieben wird. Regionale Winzerbetriebe wechseln sich jedes Wochenende ab, um den beliebten Heurigenwaggon mit regionalen und saisonalen Schmankerln, Wein und Traubensaft zu versorgen und zu betreuen. Die erste Etappe der Strecke Retz-Drosendorf bis Hofern bietet einen wunderbaren Ausblick auf die Stadt Retz und die umliegenden Weinberge. Besonders reizvoll ist die Gegend im Herbst, wenn die Rieden in der goldenen Herbstsonne erstrahlen und wie ein bunter Streifenteppich die Kulturlandschaft durchziehen. Bevor wir die erste Haltestelle erreichen, gesellt sich der Zugbegleiter zu uns. Die Begeisterung, mit der er jedes Wochenende Waggon für Waggon die TouristInnen mit Wissen rund um den Reblaus-Express versorgt, ist ansteckend. Durch die familienfreundliche Atmosphäre werden auf Anhieb Sympathien bei Groß und Klein geweckt.
Wir erhalten eine Bandbreite an Insiderinformation über Ausflugsziele entlang der Strecke, Kombinationsmöglichkeiten von Rad-und Wandertouren bis hin zum Nationalpark Thayatal und der nahegelegenen kleinsten Stadt Österreichs, Hardegg.
Zusätzlich hält der Reblaus-Express kostenlose Broschüren, Pläne und Informationsmaterial bereit. Bestens versorgt stellen wir eine kleinkindtaugliche Route für den heutigen Tag zusammen.
Klimafreundlich mit Fahrrad und E-Bike unterwegs zu sein und auf öffentlichen Verkehr in Kombination mit Linien-und Sonderbussen zu setzen, ist ein besonderes Anliegen des Vereins Reblaus-Express. Hier läuft alles nach Plan. Kein unnötiges Warten, keine unbeantworteten Fragen, dafür umso mehr genial durchdachte Anschlußmöglichkeiten, die sich an den Vorlieben von Genuss- und NaturliebhaberInnen sowie RadfahrerInnen orientieren.
Wir fühlen uns hier auf Anhieb wohl.
Ein spezielles Zuckerl gibt es für alle RadfahrerInnen. Im Fahrradwaggon können Fahrräder kostenlos transportiert werden. Parallel zur Reblaus-Express-Strecke verläuft zwischen Retz und Drosendorf der Reblaus-Radl-Weg. In Retz werden Fahrräder und E-Bikes vermietet und auch in Drosendorf findet man am Hauptplatz eine praktische „Servicestelle“ für Fahrräder, welche wir sehr gerne für unseren Kinderwagen in Anspruch nehmen werden.
Wir passieren weite Felder, an denen sich eifrige HobbyfotografInnen auf mitgebrachten Leitern auf den sich nähernden Reblaus-Express fokussieren. Fotomotive gibt es unzählig viele, denn im Retzer Land ist nicht nur Hochsaison der Weinlese, sondern es ist auch Kürbiszeit!
Äcker mit Kürbissen, die vom Fenster aus wie akkurat gezogene Linien bestehend aus orangenen Punkten aussehen, werden schließlich von Seen und Wäldern abgelöst. Willkommen im Thayatal.
Das Anglerparadies Hessendorf ist fünfte der insgesamt 10 Haltestationen der Strecke Retz-Drosendorf. Bei der Hinfahrt hat man die Möglichkeit, bei einem 15 minütigen Halt die direkt neben den Gleisen liegende Teichlandschaft von Hessendorf zu erkunden. An den Ufern der insgesamt 7 Fischteiche tummeln sich Fischer, Naturfreunde und Gourmets, die in der „Hütte“, wie das Gasthaus am Teich genannt wird, einkehren, um Fischspezialitäten der Region, wie den Waldviertler Karpfen, Forellen u.v.m. zu verkosten. Neben dem Gasthaus befindet sich ein Natur-Spielplatz. Wer hier noch gerne mehr Zeit verbringt, kann die Ruhe an diesem schönen Plätzchen abseits von Hektik und Lärm so richtig genießen oder die Wanderwege der idyllischen Waldviertler Teiche erkunden.
Drosendorf, die geschichtsträchtige „Wohlfühlstadt“ am Rande des Nationalparks Thayatal, ist die letzte Station des Reblaus-Expresses. In nur 5 Minuten Fußmarsch gelangt man vom Bahnhof zur Altstadt, die - eingekesselt von einer Stadtmauer - auf einer gut geschützten Anhöhe mittelalterlichen Flair versprüht. Ihr wohnt ein besonders lieblicher Charme abseits der Touristenpfade inne. Die monströse Stadtmauer, die nur von zwei Türmen an den zwei Stadteingängen durchbrochen wird, ist das Highlight der kleinen Stadt. Inmitten der gut erhaltenen Stadtmauern herrscht angenehme Betriebsamkeit. Die Stadt, die in ihren Ursprüngen im 11 Jht. als Marktforum errichtet wurde, ist übersät von romantischen, kleinen Häuschen, die in neu renoviertem Glanz mit viel Detailliebe das Stadtbild ergänzen. Nostalgische Geschäftsfassaden wurden wie selbstverständlich an heutige Bedürfnisse adaptiert ohne den originalgetreuen Charakter zu beeinträchtigen und so verwundert es nicht, dass sich der einzige Nahversorger der Altstadt hinter hölzernen, geschwungenen Fassaden versteckt.
Wir erkunden Drosendorf beginnend am „Eintrittsportal“, dem Hornertor, passieren den Hauptplatz mit der Kirche bis zum Raabser Tor, dem ältesten Teil der Stadtmauer. Der Hauptplatz mit seiner alten Kastanienallee, den Grünflächen und unzähligen Bänkchen ist ein beliebter Stadtmittelpunkt, auch deswegen, weil es hier neben dem gut besuchten Gasthaus zur Hammerschmiede (Reservierung notwendig!) im Eis Ice Baby das beste Eis weit und breit gibt. Wir beschließen, unsere Stadterkundung auf der Sommerpromenade fortzusetzen. Dieser idyllische, von einer Lindenallee gesäumte Weg wurde zur Zeit Maria Theresias gegründet. Hier ticken die Uhren langsamer, noch gemächlicher als im Rest der Stadt. Der romantische Charme wurde bereits von den Sommerfrischlern in den letzten Jahrhunderten zelebriert. Begleitet vom Plätschern der Thaya kann man mit Blick auf die mittelalterlichen Stadtmauern und die darauf thronenden Häuser die Seele baumeln lassen. Picknickplatz gefunden! Wir pausieren auf einer Wiese mit Holzliegen und lassen uns die Herbstsonne ins Gesicht scheinen, während sich die Kinder austoben. Zurück an unserem Ausgangspunkt, dem Hornertor, machen wir noch einen Abstecher zu einem wunderschön gelegenen, sonnigen Kinderspielplatz direkt neben dem Schloss bzw. der alten Burg von Drosendorf.
Um 15 Uhr heißt es für uns: Zurück zum Reblaus-Express, um die Heimfahrt nach Retz im Heurigenwaggon mit Traubensaft, Blauburgunder und superleckeren Aufstrichbroten anzutreten.
Hoch über den Dächern von Retz erhebt sich in manchmal mehr, manchmal weniger windigen Höhen das Wahrzeichen der Stadt, die Windmühle. Als wir am späten Nachmittag an unserem letzten Ausflugsziel ankommen, herrscht reges Treiben. Es ist nicht zu übersehen: die Windmühle ist ein sehr beliebtes Ausflugsziel und als Fotomotiv heiß begehrt. Aber die einstige Getreidemühle und der Kalvarienberg haben noch viel mehr zu bieten! Von hier aus eröffnet sich ein wundervoller Blick ins umliegende Retzerland. Die Windmühle wurde nach ihrer Stilllegung im Jahr 1924 von holländischen Windmühlenbauern von Grund auf renoviert und ist die einzige, betriebsfähige und vollständig eingerichtete Windmühle Österreichs.
In einer hochinteressanten Führung wird uns auf insgesamt drei Etagen die Technik und Mechanik des faszinierenden Bauwerks nähergebracht. Die Führung endet in der untersten Etage, der Vinothek, wo bereits eine Kostprobe für uns bereit steht. Für die Kinder gibt es Traubensaft.
Die Kombination von Reblaus-Express, Stadt-und Windmühlenbesichtigung war für uns (2 Erwachsene und 2 Kleinkinder) perfekt. Es ergab sich ein sehr entschleunigter, ganztägiger Familienausflug, der viele schöne Highlights, hatte, aber dennoch nicht zu überladen war. Durch die zeitlich gut aufeinander abgestimmten Aufenthalte konnte man sich die Zeit nehmen, die man benötigt, ohne Stress aufkommen zu lassen.
Vor allem die Versorgung mit Essen und Trinken während der Anreise ersparte uns ein schweres Gepäck auf unserer Stadtbesichtigung. Für uns definitiv die entspannteste Art zu Reisen!
Fahrtickets im Voraus besorgen!
Achtung beim Losfahren des Zuges, da Gläser und Tassen zu Bruch gehen können. Daher am besten Festhalten!
Im Reblaus Express ist die Fahrradbeförderung kostenlos.
Für die Mitnahme eines Hundes werden pro Tag pauschal € 5,00 verrechnet. Es besteht Maulkorb- und Leinenpflicht.
Kinder unter 6 Jahren werden gratis befördert.
Wenn im Behindertenpass vermerkt ist, dass dessen Inhaber eine Begleitperson braucht, wird diese gratis befördert.
In Retz gibt es die Möglichkeit Räder und E-Bikes auszuborgen.
Anreise
von Wien: A22 bis Stockerau, S3/E59 bis Hollabrunn B303/E59 bis Guntersdorf, B30 bis Retz ( Parkmöglichkeiten am Bahnhof Retz)
Reblaus-Express: € 22,-
Retzer Windmühle: € 8,-